Der Nachtwächter Hugo erzählt Döneken und Geheimnisvolles aus dem alten Braunschweig

Worin begründet sich die Bedeutung des mittelalterlichen Braunschweig?

Zwei uralte, wichtige Handelsstraßen kreuzten sich in der mittelalterlichen Hansestadt Braunschweig – eine davon heißt heute B 1.

Sie kam von Nowgorod, über Königsberg und Magdeburg wurden Felle, Honig und Bienenwachs importiert. Aus Spanien und Portugal kamen in Köln über den Rhein, in Minden über die Weser weitere Kostbarkeiten: Wein, Obst und andere Leckereien. So trafen sich in Braunschweig alle begehrten Zutaten für eine genussreiche Freizeit: 

Bruno der Bär lieferte die Bärenhaut, auf die man sich genussvoll vor das Lagerfeuer legte. Man schlürfte den Wein, naschte Süßigkeiten und Obst und ließ Gott einen guten Mann sein!

Heute ist das nicht so viel anders: das Sofa ersetzt das Bärenfell, aus dem Lagerfeuer ist der Fernseher geworden und statt Wein darf es auch mal ein kühles Wolters sein! Und spät in der Nacht vertreibt das Schnarchen der starken Braunschweiger Kerle zwar kein wildes Tier, aber vielleicht die lästigen Fliegen und Mücken…

Gekreuzt wurde die B 1 von der Nord-Süd-Achse der Salzstraße. Salz – weißes Gold aus Lüneburg! Ganz besonders wichtig an der Ost- und Nordsee, denn Kühltransporter gab es damals noch nicht, und Fisch wurde gesalzen in Fässern transportiert.

Ein Schlachter aus Lüneburg erzählte mir, wie das Salz von den Lüneburgern entdeckt wurde: Eines Tages vor ungefähr 1000 Jahren rannte eine Wildsau durch ein kleines Heidedorf; diese war aber nicht schwarz, wie es sein sollte, sondern weiß! Das seltene Tier wurde natürlich gejagt und schließlich auch erlegt. Die Jäger probierten die weiße Schicht auf dem Fell der Sau und entdeckten somit das erste Pökelfleisch, – denn die Sau hatte sich in einer Pfütze mit Salzwasser gesuhlt! Man fand die Stelle auf einem Acker, und hier entstand die mächtige Salzstadt Lüneburg. 

Aus Dankbarkeit bewahrt man den Kotelettknochen der Salzsau noch heute im Lüneburger Rathaus auf! Jener Schlachter, der mir die Geschichte verriet, ist heute der „Hüter des heiligen Knochens“. Damit der kostbare Knochen nicht verdirbt, wechselt er ihn jedes Jahr sorgfältig aus. Tja, auch die Lüneburger sind nicht auf den Kopf gefallen!

In Braunschweig aber benutzte man das Lüneburger Salz auch für die Herstellung der berühmten Braunschweiger „Slackworst“. Wurst und Mumme, das vitamin- und nährstoffreiche Braunschweiger Starkbier, gingen nach Süden über die Alpen bis nach Venedig, und aus China kamen Gewürze und Seide.

Braunschweig aber liegt zwischen China und Norwegen, Portugal und Russland, – genau in der Mitte. Und nicht zu vergessen, es gab hier noch eine weitere Straße, ganz ohne Schlaglöcher: die Oker! Der letzte schiffbare Hafen lag am Ende der heutigen Münzstraße, da, wo wir heute bei C&A einkaufen können.

Da die Erde im Mittelalter ja noch eine Scheibe war, wie wir wissen, drehte sich also alles um Braunschweig, – so wie eine Schallplatte sich auf dem Plattenteller um den Pinökel drehte…! 

Nicht umsonst heißt es in dem berühmten Musical: „Braunschweich, Braunschweich, – Nabel der Welt!“ 

Die Pflichten des Nachtwächters

Der Nachtwächter muss seine Augen überall haben!!!

Und drei Aufgaben waren früher besonders wichtig bei seinen nächtlichen Kontrollgängen durch die dunkle Altewiek: Wasser, „Weiber“ und Licht!

Wasser: Die Oker brachte aus dem Harz wohlschmeckendes Trinkwasser, das in offenen Gräben durch die Stadt geleitet wurde. Es gab aber noch keine Mülltonnen und keine Abwasser-Entsorgung, so dass die Okergräben diese Aufgaben mit übernehmen mussten. Die Brunnen auf den Hinterhöfen standen auch dicht neben den Aborten, so dass die Braunschweiger ihren Durst lieber mit dem Bier der zahlreichen kleinen Brauereien löschten. Der Braunschweiger trank im Mittelalter rund 300 Liter Bier pro Jahr, – jeder!!! Also jeden Abend eine Pulle Bier für jeden auf dem Abendbrottisch…

Darum musste der Nachtwächter vor dem Brau-Tage ausrufen: „Hüte wart bekannt jemaket, dass kaaner in de Oker kaket!“ – damit die Nachtpötte mal einen Tag nicht in die Gräben gekippt wurden.

„Weiber“:  In den fünf Weichbildern der Stadt Braunschweig gab es 18 Beginenhäuser, und in meinem Stadtteil Altewiek standen drei davon. Beginen waren fromme Frauen, die für sich beschlossen hatten, ihren Lebensabend ohne Männer zu verbringen. Es waren aber keine Nonnen ; sie konnten ihren Konvent auch wieder verlassen, wenn sie doch noch einen netten Mann kennen lernten.

Sie kümmerten sich um die Kranken in ihrem Viertel, um die Straßenkinder und auch um die Toten. Die Beginen waren die Totenwäscherinnen, sie wickelten die Verstorbenen nach der Wäsche in ein letztes Tuch ein, ehe sie auf dem Kirchhof beerdigt wurden. Sie wohnten in den Beginenhäusern, die ihnen von wohlhabenden Familien zur Verfügung gestellt wurden. Dafür wurden diese jeden Abend ins Abendgebet eingeschlossen.

Der Nachtwächter hat sie regelmäßig besucht, sich auf eine Tasse heißen Muckefuck gefreut und vielleicht auch so manchen Streit unter ihnen geschlichtet. Na ja, wenn 30 „Weiber“ zusammen wohnen…

Bei seinen Rundgängen hat der Nachtwächter jede Stunde angeblasen und einen Stunden-Ruf gesungen. So wussten sich die Bürger sicher und geborgen und konnten sich auch ohne Radiowecker in der Zeit orientieren.

Nach Einbruch der Dunkelheit musste auch in den Wohnungen das Feuer – ob Kerzenlicht oder Herdfeuer – gelöscht werden. Braunschweig als größte Fachwerkstatt war sehr feuergefährdet. Daher musste er sich auch unter den Magnikirchturm stellen und mit einem – nicht zu lauten – Signal den Turmwächter anblasen. Kam von ihm kein Antwortsignal zurück, so musste er wohl oder übel die 163 Stufen rauf und den Türmer zur Wachsamkeit ermahnen.

Denn der hatte das verantwortungsvollste Wächteramt. Von dort oben konnte er sich nähernde Reiterheere an den Staubwolken erkennen und sie den Stadttoren mit einem Hornsignal melden. Aber viel wichtiger war seine Aufgabe als Feuerwächter. Wenn er Rauchwolken sah, läutete er die Alarmglocke und zeigte durch eine rote Flagge, nachts mit einer Laterne die Richtung des Brandherdes. Dann wusste auch der Karrenführer Bescheid, der mit seinem Wasserfass auf Rädern zur Brandstelle fuhr und die Eimerkette der Bürger mit dem Befehl „Gib Kette!“ in Gang setzte.

 

Autor: Jürgen KöpkeAssistenz: Margit Warning